Leben. Lieben. Pflegen. Der Desideria Podcast zu Demenz und Familie

Leben. Lieben. Pflegen. Der Desideria Podcast zu Demenz und Familie

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Folge 50 „Leben. Lieben. Pflegen“ - Verreisen mit Demenz. Mit Gast Anna Asenkerschbaumer.

Verreisen mit Demenz – ist das eine gute Idee? Schließlich sind ja Routine und feste Strukturen wichtig für Menschen mit Demenz und auch ihre Angehörigen. Aber der Wunsch nach Urlaub, nach Erholung und Abenteuer, der ist ja auch da. Was also tun? Mein Gast Anna Asenkerschbaumer reist für ihr Leben gern, auch mit ihrer an Demenz erkrankten Mutter Faride. Mit Anna spreche ich in dieser Folge „Leben. Lieben. Pflegen“ über die Herausforderungen beim gemeinsamen Reisen und wie es ihr gelingt, dass sie beide schöne Momente erleben.

Herzlich willkommen zu „Leben. Lieben. Pflegen. Der Desideria Podcast zu Demenz und Familie“. Mein Name ist Peggy Elfmann. Ich bin Journalistin und pflegende Angehörige. Hier im Podcast spreche ich mit verschiedenen Gästen über Themen, die Angehörige und Pflegende beschäftigen. Ich möchte Lösungen für Herausforderungen finden und euch so Wissen und Anregungen für euren Alltag geben.

Mein heutiger Gast ist Anna Asenkerschbaumer. Anna arbeitet als Vertriebsingenieurin und sie ist pflegende Angehörige. Ihre Mutter Faride erhielt vor sieben Jahren die Diagnose Alzheimer. Anna und ihre Mama verreisen wahnsinnig gerne. Das tun sie seit vielen Jahren und auch weiterhin mit der Krankheit. Wie das gelingt, darüber spreche ich mit Anna.

Peggy: Ich freue mich sehr, dass du da bist, lieber Anna.

Anna: Hallo Peggy, ich freue mich auch total.

Vor ein paar Wochen, oder ich glaube jetzt sind es schon fast Monate, warst du ja mit deiner Mama unterwegs. Ihr wart in Kolumbien und ich erinnere mich daran, dass ich die Bilder auf Instagram angeschaut habe und damals ein wenig neidisch war und gedacht hab, ‚Oh, ist das schön, gemeinsam zu verreisen.‘ Wie geht es dir, wenn du heute auf die Reise zurückschaust?

Also im letzten halben Jahr haben wir schon drei Reisen gemacht. Wir waren in Ägypten über Weihnachten. Wir waren dann in Kolumbien im März. Und im Mai waren wir in Italien. Und vor jeder Reise stellt sich schon immer die Frage: Soll ich das wirklich machen? Ist das eine gute Idee?

Und?

Ich kann sie immer schnell beantworten mit: ‚Ach, das probieren wir einfach aus.‘ Ich weiß es davor immer nicht und überlege natürlich, ob es eine gute Idee ist, aber letztendlich ist es bis jetzt immer die Entscheidung dafür gefallen.

Und wieso? Also ist es dein Wunsch nach Reisen oder dem Unterwegssein oder merkst du das auch an deiner Mama, dass sie gern unterwegs ist?

Also natürlich bedeutet es in ihrer Krankheit Stress, aber sie hat auch total Lust drauf. Also das widerspricht sich so ein bisschen. Und ich habe auch Lust drauf, aber es ist auch für mich Stress. Und das widerspricht sich auch. Letztendlich ist es der Mut oder der Wille, dass wir einfach eine schöne Zeit haben, dass wir was erleben, dass wir das einfach miteinander teilen können. Der ist dann so groß und da verlasse ich mich meistens auf die Intuition und das ging bisher immer gut.

Vielleicht können wir mal zurückschauen, wo das eigentlich herkommt, eure Liebe zum Reisen. War das immer schon so oder wie kam das?

Also, meine Mama ist ursprünglich aus Kolumbien. Die einzigen Reisen, die wir in meiner Kindheit und Jugend gemacht haben, waren einmal im Jahr in die Heimat. Sobald ich zum Arbeiten begonnen habe, bin ich gereist. Ich hatte einfach Lust, die ganze Welt kennenzulernen. Im Studium habe ich mir das selbst ermöglicht, dass ich alleine viel unterwegs war. Aber es war mir wichtig, meine Mama auch teilhaben zu lassen und so habe ich sie dann einfach oft mitgenommen. Bei unserer ersten Reise, da haben wir als erwachsene Frauen, gemerkt, wie viel Spaß wir zu zweit haben. Wenn wir verreisen haben wir einfach eine gute Zeit. Es ist unkompliziert, man kennt sich einfach so gut. Man muss sich nicht verstellen, es ist einfach total entspannt und wir haben einen ähnlichen Geschmack und hatten so eine gute Zeit. Durch die gemeinsamen Reisen sind wir uns als erwachsene Frauen auf einer anderen Ebene begegnet. Somit hab ich's dann immer wieder gemacht und immer wieder gern. Wir waren viel unterwegs. Irgendwie war mir auch klar, es muss ja nicht aufhören, nur weil die Mama erkrankt ist.

Mit der Diagnose steht die Veränderung fest. Aber schon davor ist es ja eine Zeitlang so, dass man merkt, da ist etwas anders und die Dinge funktionieren nicht mehr so. Bei meiner Mama war es die Orientierung. Sie hat sich nicht mehr so gut zurechtgefunden und wenn es ums Reisen gingt, haben wir uns schon gefragt, ob das noch geht und wie das dann in einer fremden Umgebung ist? Hast du dir auch solche Fragen gestellt?

Ich habe das speziell bei der Reise gemerkt, wo wir durch Andalusien gefahren sind. Wir hatten ein Mietauto, hatten viele verschiedene Stopps. Da war total viel Abwechslung und wir waren ständig woanders. Und da ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen. Da habe ich es einfach so stark gemerkt, dass Mama teilweise keine Ahnung mehr hatte, wo wir sind. Auch in den einzelnen Abläufen war sie total überfordert. Da kann ich mich sehr gut an eine Situation erinnern, wo sie dann abends völlig erschöpft im Bett neben mir lag und ich mir gedacht habe, dass alles so anders ist. Es hatte sich verändert und es funktionierte nicht mehr. Irgendwas stimmte nicht mehr. Da wurde es so offensichtlich. Ich weiß noch, ich bin im Bett neben ihr gelegen und mir sind die Tränen herunter gerollt und ich habe mir gedacht: ‚Wie soll das jetzt weitergehen?`

Hast du das da klarer gesehen, dass hinter den Veränderungen eine Krankheit steckt, als daheim, wo man, sag ich mal, so im üblichen Trott ist?

Ja, absolut, weil du verbringst ja sehr intensiv Zeit miteinander, wenn du reist. Von morgens bis abends du bist ja nonstop zusammen und das ist man ja zu Hause, normalerweise nicht. Und da ist es mir einfach so, so stark aufgefallen, auch die Koordination, welche Dinge sie im Bad benutzt, wenn ich das beobachtet habe. Da sind mir so viele Dinge aufgefallen, wo ich wusste irgendwie, dass das stimmt definitiv etwas nicht mehr. Das ging dann eben in den darauf folgenden Reisen, wo die Diagnose noch nicht gestellt war, so weiter.

Und als die Diagnose dann da war, hat sich was verändert? Hast du drüber nachgedacht, ob es mit dem Reisen so weitergehen kann?

Tatsächlich in dem Moment noch nicht. Ein Aha-Erlebnis war es, als ich die Mama verloren habe. Das war richtig dramatisch. Ich hatte sie an einer Bank kurz abgesetzt und meinte: „Mama, das ist so steil. Ich gehe da kurz rauf und warte kurz auf mich, ich komme dann wieder.“ Und als ich wieder zurückgekommen bin, war sie nicht mehr da. Wir mussten aber anschließend zum Flughafen. Das war einfach ein Riesendrama. Ich habe die Mama zwar dann irgendwann gefunden über aufmerksame Leute. Damals hatte ich meine Handynummer in ihre Tasche gesteckt und die Mama konnte sie noch lesen und sich mitteilen. Wir fanden dann wieder zusammen, aber das war so ein einschneidendes Erlebnis, dass ich mir gedacht habe: ‚So wie bisher scheint es nicht mehr zu gehen. Also, dass ich auf Reisen auch mal kurz etwas alleine machen kann, das geht einfach nicht mehr.’ Ich wusste, wenn wir gemeinsam verreisen, dann kann ich sie keine Sekunde aus den Augen lassen. Das wurde mir da erst richtig bewusst, dass es sich verändern wird.

Aber ich meine, man merkt ja heute, das hat nicht bedeutet, das ja aufhört zu reisen.

Ja, genau, weil die Lust zu reisen, ist einfach nach wie vor so groß. Es ist auch nach wie vor so, wenn wir in den Startlöchern stecken, da spürt man diesen Vorfreude. Die Mama ist dann auch irgendwie besorgt oder verängstigt, wo es hingeht und was uns erwartet. Aber ich gebe ihr einfach so viel Sicherheit, dass sie voller Vertrauen ist und sich einfach nur freut.

Wie gibst du dir die Sicherheit?

Das ist eine gute Frage. Ich glaube, es ist einfach dieses Dasein, dies emotionale, starke Verbindung und dass sie sich einfach zu 100 Prozent auf mich verlassen kann. Und das spürt sie einfach. Ich würde sie auch nicht alleine lassen oder irgendwas. Ich mache mit ihr ja auch nur Dinge, von denen ich weiß, dass sie ihr gefallen. Also ich zwinge sie ja nicht zu einem Urlaub, wo ich weiß, das ist einfach nicht ihr Ding, sondern ich picke schon Sachen heraus, wo wir es uns einfach schön machen und das weiß sie einfach, das ist ein Gefühl.

Das klingt nach einer ganz besonderen Zeit für euch, auch jenseits von den Verpflichtungen des Alltags. Welchen Unterschied merkst du im Vergleich zu daheim?

Jetzt inzwischen merke ich natürlich auch die Herausforderung. Ich bin dann auch den ganzen Tag irgendwie am Pflegen. Also ich muss von morgens in der Früh dabei sein und mich um alles kümmern, die Kleidung raussuchen, schauen, wie das mit dem Duschen funktioniert und so weiter. Also ich bin, bis sie ins Bett geht, nonstop, auch mit dem Pflegen beschäftigt. Aber gleichzeitig ist es dieser Ortswechsel, diese Inspiration, die ich ja auch schöpfe durch Reisen, durch andere Eindrücke, das gibt mir dann auch so viel, das geht dann irgendwie alles leichter von der Hand als daheim. Verreisen und Unterwegs sein, das ist einfach etwas anderes, wie wenn wir einen ganzen Tag zu Hause sind.

Ich glaube, wir müssen als Vergleich auch noch erzählen, wie die Situation daheim ist. Wie es das zu Hause? Wie sieht die Pflege- und Betreuungssituation aus?

Also seit einem halben Jahr wohnt jetzt die Mama bei mir. Ich habe sie zu mir geholt, weil es alleine in ihrer Wohnung nicht mehr ging. Und unter der Woche, wenn ich arbeite, ich arbeite Vollzeit, da geht sie in die Tagespflege. Wir nennen es den Club, das klingt nämlich cooler. Und da geht sie auch total gerne hin. Währenddessen bin ich in der Arbeit. Am Nachmittag organisiere ich noch zusätzlich Betreuung, damit ich länger in der Arbeit bleiben kann. Und abends verbringen wir dann noch den Abend gemeinsam. Oder ich organisiere jemanden, der mich unterstützt und am Wochenende verbringen wir entweder Zeit gemeinsam oder sie verbringt Zeit mit Freunden und Familie oder ich organisiere Hilfe, damit ich einen Moment für mich habe. Das heißt, wir haben Momente gemeinsam, aber wir haben auch jede noch ihre eigene Welt. Das ist im Urlaub natürlich nicht so, weil du hängst halt dann die ganze Zeit zusammen. Aber es ist auch in Ordnung, weil wir halt einfach im Urlaub sind und dieser Urlaubsvibe besteht. Ja, ich glaube, es gibt aber auch in jedem Urlaub einen Moment, wo ich mir denke: ‚Das mache ich nie wieder. Das ist echt so irre. Das ist so anstrengend. Es geht einfach nicht mehr. Anna, akzeptiere es.‘ Diesen Tiefpunkt habe ich immer wieder, aber den habe ich auch zuhause. Und dann geht es irgendwie weiter. Dann kommt wieder so ein schöner Moment und dann denke ich mir so: ‚Nee, Anna, alles richtig gemacht!‘ Also das schwankt sehr stark.

Was hilft dir denn in diesen schweren Momenten, im Urlaub, in denen die Verantwortung so krass groß ist und Dinge vielleicht nicht so aufgehen wie geplant?

Mir hilft es, wenn, und es ist meistens so, dass wir immer unglaublich netten Leuten begegnen. Neulich in Italien hatten wir so eine Krise. Die Kellnerin hat das gemerkt und sie hat uns ein Schokoladenherz gebracht. So etwas heitert auf. Oder es ist auch einfach ein wohlwollendes Lächeln von jemandem. Oder ein Genussmoment. Wenn ich merke, es funktioniert gar nichts mehr, dann versuchen wir etwas zu machen, das Genuss bringt. Etwas Gutes essen oder trinken, das tröstet dann irgendwie über diesen Frustmoment und dann ist alles wieder gut. Oder es einfach auch mal rauszulassen, dann ist halt die Stimmung mal kurz für eine Stunde oder so gekippt. Aber wir schaffen es dann irgendwie, wieder die Stimmung umzudrehen, weil die Landschaft gerade so schön ist, weil wir die Füße ins Meer tauchen, weil uns gerade alles zu viel ist und wir tauchen kurz ins Wasser und kühlen wortwörtlich einfach ab und dann ist alles wieder in Ordnung. Also ich versuche einfach dann irgendwie wieder den Blick auf irgendetwas Schönes zu richten und die Mama lässt sich dann auch meistens drauf ein.

Ist das etwas, das du alleine machen musst oder zieht deine Mama dann auch mit? Ihr habt ja eine sehr enge Bindung und ich könnte mir vorstellen, dass in diesem Moment zu merken, meiner Tochter geht es gerade nicht so gut, dass dann die Mutter-Liebe auch durchschlägt und deine Mama vielleicht für dich da sein kann.

Genau, diese Momente tatsächlich, Peggy, haben wir ab und zu auch. Also, in meinen absoluten Krisenmomenten, wo mir einfach alles zu viel wird und ich weine oder schreibe, weil ich einfach nicht mehr kann, weil irgendwas nicht funktioniert hat oder weil wieder der ganze Koffer ausgepackt ist, obwohl ich ihn schon zusammengepackt habe und jetzt alles noch mal machen muss oder wieder irgendwas verschwunden ist. Ich glaube in solchen Momenten, wenn ich wirklich am Limit bin – und das dauert schon lange. Aber wenn ich so am Limit bin, dann kommt irgendwie ihr Mutterinstinkt hoch und sie bemüht sich dann total bei allem irgendwie mitzumachen. Zum Beispiel eben, sie hat eigentlich keine Lust, ins Wasser zu gehen, aber sie spürt dann direkt so, dass mir das wahrscheinlich guttun würde. Dann sagt sie: „Sollen wir ins Wasser gehen?“ Und dann denke ich mir so: ‚Okay.‘ Und dann ist irgendwie dieser Moment gerettet. Oder sie gibt mir etwas Wasser zu trinken und sagt: „Trink etwas, du bist irgendwie so durcheinander.“ Und ich denke mir: ‚Ja, ich bin total durcheinander. Ich wollte mich doch erholen.“ Und so überwinden wir irgendwie den Moment und dann geht wieder der Erholungsmodus los.

Du hast mir erzählt, dass du manchmal auch damit konfrontiert wirst, dass andere Menschen hinterfragen, ob das nicht zu viel Stress für deine Mama ist. Ist es nicht zu viel für sie?

Ja, da gibt es schon Stimmen, die das fast wie eine Zumutung finden – eine Zumutung für sie und für mich. Aber ich habe da eigentlich so einen Plan und starken Willen und auch eine Meinung dazu. Das muss jeder selber entscheiden, wie er das mit seinem Angehörigen machen möchte. Und ja, ich mute der Mama zum Teil schon was zu. Stimmt. Aber sie erlebt dadurch auch total viel. Sie nimmt noch mitten am Leben teil. Und es geht ja auch um mein Leben und um meine Zeit und um meine Erinnerungen. Warum soll ich jetzt mit ihr nur zu Hause sitzen und Däumchen drehen, wenn wir die Möglichkeit haben, etwas gemeinsam zu genießen und Erinnerungen zu sammeln, die einfach für beide wertvoll sind. Und auch wenn sie keine Ahnung hat, teilweise, wo wir sind. Ich meine, das sind ja auch enorme Kosten, Sie weiß ja nicht mehr, wo wir sind. „Der ganze Akt, für was denn?“ Das wurde ich schon gefragt. So quasi: „Muss das denn sein, Anna?“

Und was sagst du dann, für was oder für wen machst du das, Anna?

Für uns beide. Natürlich weiß die Mama nicht, was wir mittags gegessen haben oder dass wir überhaupt gegessen haben. Oder wo wir sind oder wo wir gestern waren oder was wir gerade erlebt haben, das weiß sie nicht mehr. Aber in dem Moment, wo wir es erleben und in dem Moment, wo sie in Italien die beste Pasta isst, dann ist es in dem Moment gerade die beste Pasteur und ein Schluck Wein trinkt, dann ist es der super Moment, der super Genussmoment und wir lachen und genießen und es ist mir einfach völlig egal, ob sie es danach nicht mehr weiß. Also natürlich tut das irgendwie auch weh, weil ich betreibe einen Riesenaufwand, finanziell, zeitlich und emotional. Es ist ein Riesen-Kraftakt und dann weiß sie es nicht mehr. Aber es macht noch mal deutlich, wie sehr man in dieser Krankheit im Moment lebt.

Natürlich kann sie jetzt nicht mehr von unseren Urlauben erzählen oder weiß, wo wir waren. Gerade heute Nachmittag hatten wir die Situation, dass jemand sie auf Ägypten angesprochen hat. Und die Mama sagt: „Nein, ich war noch nie in Ägypten.“ Ich sag so: „Doch, Mama, natürlich, wir waren dort.“ Ich habe ihr Fotos gezeigt und dann kam die Erinnerung wieder. Die Fotos haben sie irgendwie überzeugt, aber sie kann es, glaube ich, nicht mehr greifen. Der Moment ist ja auch vorbei. Es ist in der Vergangenheit. Und das ist ja was, was mir zum Beispiel in meinem Leben total schwer fällt, dieses Vergangene loszulassen. Dann klammert man sich mit Fotos und allem möglichen an Erinnerungen. Aber es ist ja nicht mehr präsent. Und für Sie ist es einfach weg.

Ist das was, was du durch deine Mama und die viele gemeinsamen Erlebnisse lernst?

Ich wünschte, ich würde es lernen. Ich bin immer noch sehr, sehr schlecht im Loslassen. Und auch im Loslassen von ihr. Und deswegen klammere ich mich halt eben an diese Erinnerungen und diese Reisen und diese Momente, die wir gemeinsam erleben. Wir erleben halt einfach auch im Urlaub so viele lustige Momente, die ich einfach nicht missen möchte. Sie ist eigentlich die meiste Zeit im Urlaub sehr zufrieden, weil natürlich, da macht man tolle Sachen, man lässt sich gut gehen. Also sie kriegt natürlich auch Stressmomente, mal können wir sie besser handeln, mal nicht.

Das ist vermutlich wie zu Hause, oder?

Genau, so ist es. Eine ganz große Frage, die ich mir immer gestellt habe, war: „Wenn wir das jetzt machen, wird es dann schlechter? Komm ich dann nach Hause und es ist noch schlechter?"

Stimmt, das hört man ja manchmal. Und war es schlechter?

Ich habe mich ja immer dafür entschieden. Ich weiß ja nicht, wie es anders gewesen wäre. Und natürlich braucht es zu Hause wieder etwas Eingewöhnung. Vielleicht wäre es zu Hause auch schlechter geworden, wenn wir nicht gefahren wären? Ich weiß es nicht, es ist einfach eine bewusste Entscheidung. Und ich glaube, es hilft nicht, darüber nachzudenken, was wäre klüger, dass man jetzt zu Hause bleibt oder fährt. Ich denke, man sollte dann einfach das tun, was man einfach in dem Moment als richtig empfindet. Und wenn ich mit ihr in Urlaub fahren möchte und glaub, das ist einfach jetzt die bessere Entscheidung, dann mache ich das. Ob es dann wirklich besser war, ich weiß es nicht. Aber es war dann so, wie es halt war.

Lass uns gleich noch über die praktischen Sachen sprechen. Vielleicht hast du ja auch noch Tipps für die Zuhörenden, was man vorbereiten kann oder worauf es bei der Planung ankommt.

In unserer Rubrik „Wissenswert" stelle ich in jeder Folge eine Studie vor. Heute habe ich eine Studie dabei, die jetzt gerade veröffentlicht wurde. Und zwar ist es eine Studie von Dr. Iris Blotenberg vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen. Sie hat untersucht, inwieweit soziale Unterstützungsmaßnahmen eine Depression bei Menschen mit Demenz vorbeugen können. Und das ist ja tatsächlich etwas, was häufig auftritt. Also ganz viele Menschen mit Demenz entwickeln gerade in der frühen Phase auch eine richtige Depression oder erleben zumindest depressive Episoden. Und die Forscherin hat über vier Jahre lang Menschen mit Demenz befragt und wollte eben wissen, wie es denen geht, wie ist deren Lebenszufriedenheit, wie ist ihr Selbstwertgefühl, was für Unterstützungsmöglichkeiten haben die. Sie hat eben herausgefunden, was man sich fast schon vorstellt, also Menschen mit Unterstützung, mit sozialer Anbindung von anderen, die entwickeln tatsächlich seltener Depressionen. Und je weniger soziale Unterstützung ein Mensch hat, umso höher war die Erkrankungswahrscheinlichkeit. Also ich finde die Studie total super. Einerseits, weil sie zeigt, wie wichtig das soziale Umfeld ist. Das sagt man ja oft so, aber den Fokus darauf zu legen und nicht nur auf medikamentöse Therapien, das finde ich wichtig. Und über überhaupt zeigt diese soziale Bindung und diese Zugehörigkeit wieder mal, wie wichtig das eigentlich ist. Und das wäre, glaube ich, als Gesellschaft und auch in der Therapie hilfreich, einen größeren Fokus darauf zu legen.

Du hast jetzt so genickt, das heißt für dich ist das auch wahrscheinlich total glasklar, dass die Studie das Ergebnis gezeigt hat, oder?

Ja, absolut. Also ich wurde auch oft gefragt, von Ärzten, ob sie depressive Verstimmungen hat. Ich glaube, manchmal könnte sie dazu tendieren, aber Ich lass das irgendwie nicht so aufkommen, weil dann geht man raus in die Natur, dann genießen wir gutes Essen oder ich bringe sie zum Lachen, ich umarm sie, ich gebe ihr Nähe oder mache ihr Komplimente. Im Urlaub sage ich ihr: „Du siehst bombastisch aus!“ Ich versuche einfach, dass wir es uns so schön wie möglich machen und die Stimmung hochzuhalten. Das geht eben so gut im Urlaub, weil man ja selber in so einer Urlaubsstimmung ist und so eine Euphorie spürt. Wenn man da die Stimmung hochhält, dann ist überhaupt gar kein Platz für einen depressiven Gedanken.

Du sagst das jetzt so einfach. Ich kann mir vorstellen, dass das gar nicht so einfach ist, sondern auch Arbeit bedeutet.

Ja, definitiv, also es ist mit enorm viel Arbeit verbunden. Weil du die Vorbereitung angesprochen hast, natürlich muss ich meine Sachen packen, und ich muss Mamas Sachen packen. Ich muss schauen, ob sie alles dabei hat. Aber ich habe auch gelernt, mit sehr einfachen Dingen zu reisen. Weil je mehr ich mitnehme, für sie auch, entsteht absolutes Chaos in dem Koffer. Jede hat ihren eigenen Koffer. Ich versuche die auch ein bisschen separat zu halten, damit dann hier nicht groß rumgemischt wird, was sowieso passiert. Aber ich versuche so ganz einfach wie möglich zu reisen und ihr auch nicht zu viel Auswahl an Kleidung mitzunehmen, was sie irgendwie verwirren könnte. Und das braucht natürlich Vorbereitung, aber zum Beispiel Kosmetika nehme ich einfach nur meine mit und ich bin ja immer dabei, ich bin bei allem dabei. Ich muss immer an alles denken. Ja, das ist ein Riesenkraftaufwand. Aber ich müsste es ja für mich alleine auch tun. Da mache ich es halt einfach für noch jemanden zusätzlich. Und das funktioniert auch.

Gibt es was, was unbedingt mit muss? Also gibt es Dinge, die deine Mama braucht?

Ja, je nachdem, wo wir hinreisen, gibt es natürlich das eine oder andere, wo einfach unbedingt notwendig ist, irgendwelche Accessoires, Sonnenschutz oder so. Es ist ja eigentlich analog zu dem, was ich mitnehme. Ich würde jetzt nicht mal sagen, die Medikamente, natürlich muss ich die mitnehmen, aber ich finde, das ist ja nicht das entscheidende im Urlaub. Also Ich kenne die Mama halt natürlich auch so gut, dass ich weiß, sie braucht zum Beispiel Flipflops fürs Bad, weil sie hasst es in fremden Bädern, da barfuß rumzulaufen. Die darf ich nicht vergessen.

Aber das sind so Sachen, die man weiß, wenn man jemanden gut kennt. Dann weißt du ja auch, wie deine Mama mit fremden oder neuen Umgebungen, reagiert, oder? Gibt es da einen Tipp oder einen Trick, wie du ihr das Ankommen in einer fremden Umgebung erleichterst?

Ich versuche inzwischen nicht allzu viele Ortswechsel, also nicht zu viele Hotelwechsel oder Unterkunftswechsel, zu organisieren. Das lässt sich auch nicht immer vermeiden, weil ich habe ja mit ihr auch trotzdem noch sehr unkonventionellen Urlaub. Aber was auch sehr hilft, sind zum Beispiel Unterkünfte in der Natur. Eine schöne Unterkunft mit Platz, mit einfachen Wegen. Und natürlich muss ich sie anleiten, wenn sie nachts aufsteht, zeige ihr, wo die Toilette ist, weil sonst geht sie mir auch raus. Und man muss halt dann zusperren, damit mir das nicht passiert. Also ich muss halt einfach an viele Dinge denken, aber das funktioniert eigentlich ganz gut. Ich finde, den Erholungsfaktor in der Natur höher, in einem Haus in den Bergen. Letztens in Italien waren wir in einem Olivenheim. Ich meine, das ist einfach entspannend und sie verläuft sich da ja auch nicht, weil sie ist ja mit mir. Also ich lasse sie ja da nicht alleine rumlaufen, das geht ja nicht.

Wie wichtig ist es, dass du beziehungsweise ihr offen mit der Krankheit umgeht?

Es ist auch eine gute Frage. Das kommt tatsächlich auf den Kontext an. Manchmal erwähne ich es gar nicht, weil es irgendwie nicht so notwendig ist. Und manchmal ist es aber definitiv notwendig, es zu erwähnen, wenn sie sich gerade mit dem Handtuch von den Nachbarn abtrocknet und ich dann einfach mich kurz entschuldigen muss und die Situation erkläre. Meistens verstehen die Menschen auch mein Blick. Sie sehen in meinen Augen und in meinem Lächeln und in meinem bittenden Blick, dass etwas nicht in Ordnung ist. Passiert ja auch oft, weil sie alle möglichen Leute angequatscht, mitten auf der Straße und dann auf Spanisch, Deutsch oder so anspricht und die kennen sich gar nicht aus. Ich lass sie dann einfach und nehme Kontakt mit der Person auf, Blickkontakt und die meisten Menschen verstehen's dann. Sie verstehen vielleicht nicht, was sie hat, aber sie verstehen die Situation. Es kommt natürlich auch auf die Kultur an, aber die meisten Menschen sind total wohlwollend. Ja, der offene Umgang hilft. Also, nicht mit Worten, aber doch mit Blicken.

Was würdest du denn jemandem raten, der überlegt, ob er mit seinen Angehörigen mit Demenz in den Urlaub fahren sollte oder nicht?

Einfach ausprobieren. Was soll denn passieren? Also außer, dass man danach sagt: „Hey, das mache ich nie wieder.“ Man kann es einfach ausprobieren. Es bedeutet viel Arbeit. Es ist auch nicht mehr der Urlaub wie früher. Und es ist auch nicht ein Urlaub, wie zu einer Zeit, wo man alleine reist. Man muss mitdenken. Das fängt am Frühstücksbuffet an. Ich kann die Mama da nicht alleine hingehen lassen. Sie setzt sich danach auch irgendwo hin. Neulich gab es eine totale Konfusion mit den Tellern und dann setzte sich die Mama einfach zu einem fremden Mann an den Tisch. Ich habe sie dann zu unserem Tisch gebracht. Und dann kommt wieder mein Blick an die Person gerichtet. Natürlich ist das einfach mit Aufwand verbunden. Definitiv. Also, das ist einfach ein anderer Urlaub. Zwei Punkte würde ich raten: Einfach machen und probieren. Zweitens die eigene Erwartungshaltung. Also, es ist anders und einfach mal schauen, was passiert und irgendwie auch situativ und intuitiv entscheiden. Es läuft nicht nach Plan und man muss eine gewisse Flexibilität mitbringen. Ja, ich glaube, das sind die Hauptempfehlungen. Aber vor allem: es einfach tun. Also, wenn man Lust drauf hat und wenn die Person auch selbst gerne gereist ist.

Gibt es einen Punkt oder ein Kriterium, bei dem du sagen würdest, das wäre die Grenze?

Wenn ich merke, es tut ihr gar nicht mehr gut. Also sie ist irgendwie dann unglücklich oder so, dann würde ich es lassen. Oder wenn es mir nicht guttut. Solange ich merke, sie ist eigentlich bis auf ein paar Momente quietschfidel und feiert unser Reisen, natürlich ist nicht immer alles rosig, aber solange der Großteil eher positiv ist, solange werde ich es machen. Und wie lange ich es noch so machen, weiß ich nicht. Aber ich glaube, das liegt eher an der Stimmung. Solange ich merke, es tut uns überwiegend gut, solange werde ich es machen.

Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt. Und diese schweren Momente, diese Herausforderung, die hat man zu Hause ja auch.

Genau. Also das muss halt jeder für sich selber entscheiden. Ich glaube, das ist ganz wichtig, dass jeder einfach da ehrlich zu sich selber ist. Packt mein Angehöriger das? Hat der da auch Lust drauf? Habe ich da Lust drauf? Weil wenn man als Angehörige eigentlich keine Lust drauf hat, dann lass es. Das macht keinen Sinn. Aber wenn ich selber Lust drauf hab, warum nicht?

Wahrscheinlich ist das sogar fast das wichtigste Kriterium, oder? Weil es einfach viel Aufwand und Verantwortung sind.

Ja, man ist immer in der Verantwortung. Und es kann ja auch was schiefgehen. Also wirklich schiefgehen. Meine Mama wurde auch schon krank in Urlauben. Aber es gibt auch Krankenhäuser und Ärzte in anderen Ländern. Wir waren auch schon in Krankenhäusern, wir waren auch schon bei Ärzten in anderen Ländern, dann ist ist halt so. Es gibt eine Lösung. Und es ist jetzt nicht das komplette Drama, finde ich. Ich kann auch zu Hause krank werden.

Vielen Dank für das Gespräch, liebe Anna! Aus unserem Gespräch nehme ich mit: ausprobieren, flexibel bleiben und das tun, woran man Freude hat. Du hast es vorhin gesagt, miteinander zu verreisen schafft Normalität und ermöglicht Teilhabe. Und man kann sich gegenseitig anders erleben. Das ist ja auch eine Chance, die man im Alltag so nicht hat.

Absolut, ja.

Gibt es etwas, von dem du denkst, du hättest es gern früher gewusst?

Ich denk nicht, weil vielleicht hätte mich das nur abgeschreckt.

Ja, ist besser so, wenn man es nicht weiß.

Danke dir, liebe Anna!

Zum Abschluss habe ich noch ein paar neue Infos von Desideria für euch. Desideria ist ja ein Verein für Angehörige von Menschen mit mit Demenz und hat verschiedene Angebote. Etwa gibt es Angehörigenseminare, Angehörigengruppen, Coachings und Mediationen.

Ich möchte euch heute auf die Online-Demenz-Sprechstunde "Frag nach Demenz" hinweisen. Wenn ihr eine Frage zur Demenz habt, egal ob ihr Angehörige, Erkrankte oder Interessierte seid, dann könnt ihr diese Sprechstunde nutzen und eure Frage stellen. Und zwar funktioniert das ganz einfach. Ihr könnt eure Frage per E -Mail schicken oder es gibt eben auch einen Live-Chat. Diese Fragen werden von einem Experten-Team beantwortet, das von Dr. Sarah Straub geleitet wird. Und alles, was ihr dafür tun müsst, ist, euch einmal zu registrieren, die Beratung ist kostenfrei, findet vertraulich statt. Die ganzen Infos zur Demenz-Sprechstunde und den Link findet ihr in den Shownotes.

Zum Abschluss noch ein Termin für euch. Am 28. 8. spricht der Fotograf Hauke Dressler in einem kleinen Workshop über die Reise mit seinem Vater nach Lapland. Der hat da nämlich auch interessante Erfahrungen gemacht und vor allem tolle Bilder und wird berichten.

Das war „Leben. Lieben. Pflegen. Der Desideria-Podcast zu Demenz und Familie“. Heute mit meinem Gast Anna Asenkerschbaumer. Vielen Dank, lieber Anna, dass du da warst!

Danke dir, Peggy.

„Leben. Lieben. Pflegen. Der Desideria-Podcast zu Demenz und Familie“.

Redaktion Peggy Elfmann, Produktion Till Wallenweber. "Leben. Lieben. Pflegen" ist ein Angebot von Desideria. Empfehlt diesen Podcast gerne weiter.

Alle Folgen und Informationen findet ihr in den Shownotes auf lebenliebenpflegen .de und auf Instagram unter desideria .ev.

Über diesen Podcast

Wenn ein Mensch an einer Demenz erkrankt, stellt das die ganze Familie vor große Herausforderungen. Ängste, Unsicherheiten und viele offene Fragen bestimmen den Alltag. Einen Masterplan gibt es nicht – aber es gibt Wege, die das Leben mit Demenz erleichtern.

Podcast-Host Peggy Elfmann weiß aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, einen Angehörigen mit Demenz zu begleiten. Gemeinsam mit anderen Angehörigen, Betroffenen und Fachleuten spricht sie über die täglichen Herausforderungen, hilfreiche Strategien und Möglichkeiten, sich selbst vor Überlastung und Erschöpfung zu schützen.

"Leben. Lieben. Pflegen." – Dein Podcast für mehr Orientierung, Entlastung und gute Lösungen im Alltag mit Demenz.

Host und Redaktion: Peggy Elfmann
Produktion und Technik: Till Wollenweber

von und mit Peggy Elfmann

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